Eher bin ich eine Lügnerin, alsdass es wahr ist..

So wie man nie auslernt, lernt man auch nicht Menschen mit ihren persönlichen Geschichten, Nuancen und Reaktionen auf diese aus.

Ich habe in meinem ersten Buch stellenweise auf dieses Phänomen hingewiesen, was bedeutet, dass ich es durchaus ausreichend kenne, doch trotzdem verschlägt es mir nun fast die Sprache, wenn ich mich auf einmal in so einer Situation wiederfinde.

Ich lernte einen Mann kennen, der einen sehr lebendigen Eindruck machte – einen Mann, bei dem man sich direkt denkt: „Das ist ein Macher“. Es war auch sehr interessant und spannend sich mit ihm zu unterhalten – bis wir biografiehalber das Thema der Onkologie berührten. Er konnte mit bestimmten Termini was anfangen und gab dann auch preis, dass er selbst davon betroffen ist.

Die Diagnose und dementsprechend die Behandlung sind zwar noch nicht so lange her wie in meinem Fall, jedoch fünf Jahre schon mit langer unerkannter Vorlaufzeit. Er erzählte mir in seiner heiteren Manier, maximal kurz und knackig gehalten, seine Geschichte. Jemand, der/die kaum Hintergrundwissen über das Thema Onkologie und wie es in der Medizin zugehen kann, hat, wird bestimmt einfach staunen, schwer schlucken, jedoch nicht in der eigenen Vorstellung rekonstruieren können, was eigentlich in Wahrheit er da gerade so kurz und knackig schilderte. Ich verstehe das aber. Und es liegt mir seit dem irgendwo auf dem Schlüsselbein, da ich das Ausmaß dieser, seiner, Tortour erahnen kann, und selbst das in Wahrheit bestimmt nur in begrenztem Maße. Ich habe tiefsten Respekt vor einer/m jeden Überlebenden… und genau das erwarte ich gegenseitig. Ich verstehe, dass jede/r Überlebende ihre/seine persönlichen, einzigartigen Erfahrungen macht und daher kann ich nicht blind darauf vertrauen, dass ich am Beispiel meiner persönlichen Geschichte stellvertretend alles gesehen und erfahren habe. Ich verstehe, dass ich meine Schlüsse auch nicht auf andere Überlebende projizieren kann und darf.. Ich erlaube mir so etwas nicht. Ich bin schließlich durch meine Geschichte durch und nicht durch seine/ihre…

Wie unfassbar schade ich es finde, wenn mir jemand unterkommt, der diese Lehre nicht gezogen hat und meint alles und jeden belehren zu dürfen, als ob er eben am Bespiel seiner Geschichte stellvertretend alles gesehen und erfahren hätte; als ob er die einzig richtigen Schlüsse daraus gezogen hätte und deine demnach purer Quatsch seien. Der sogar soweit geht und dich der Lüge bezichtigt, als dass er den Gedanken zulässt, er habe die Weisheit doch nicht mit Löffeln gegessen…

Laut und ungeduldig unterbricht er dich im Gespräch, nur um nicht zuzuhören und ausreden zu lassen, denn er wisse ja an den ersten zwei Wörtern deines Satzes sowieso schon, was du sagen wolltest.. Laut, energisch und wie ein Hooligan im Porzelanladen versucht er seine eigene Unbeholfenheit und blanke Panik zu kaschieren. Überkompensation der Tatsache, dass er sich innerlich seiner Onko-Erfahrung nicht gestellt hat, sondern diese wie an der Tagesordnung abgearbeitet hat, weil es da andere wichtige Situationen und Probleme im Leben gab/gibt, die auch gelöst werden wollen.

Ein geradezu Paradebeispiel von einem Krebsüberlebenden, der in der ersten Trauer-Phase stecken geblieben ist und wie panisch vor der Tatsache wegrennt, dass konkret er darin steckt. Ich interpretiere das wie eine der Erscheinungsformen einer Psychose. Umso bitterer wird das ganze wenn dieser so eine Krebsüberlebende voller Einbildung eigener Unfehlbarkeit großlaut behauptet, er sei von der Ausbildung her psychologischer Pädagoge… Licht aus.